Vom Hochmut, eine Berufung zu suchen

Kennst du den Begriff Dünkel?

Er bedeutet: „übertrieben hohe Selbsteinschätzung aufgrund einer vermeintlichen Überlegenheit“.

 

Ich habe in den letzten Tagen erkannt, dass ein Dünkel meine beruflichen Handlungen mitbestimmen durfte.

 

Hamsterrad? Nein Danke!

Als Jugendliche schon schwor ich mir, niemals in das viel beschriebene Hamsterrad der arbeitenden Bevölkerung zu steigen. Mein Vater meinte oft, das Leben bestünde nun einmal zu 99% aus lästigen Pflichten. Mein Bild vom Angestelltenverhältnis, geprägt durch meine Familie und Umwelt, enthielt fast nur negative Assoziationen.

 

Der Vorgesetzte sage, wo es langgeht. Es herrsche eine Kultur des Misstrauens. Ständig müsse ich dort unter Beweis stellen, dass ich kompetent bin. Fehler würden bestraft. Es gäbe zu viel Arbeit verteilt auf zu wenige Schultern. Arbeit mache müde. Sie würde nicht aus Lust ausgeführt, sondern aus Zwang.

 

Kein Wunder, dass ich da nie mitmachen wollte.

 

Schon damals habe ich natürlich durch meine eigene Brille in die Welt geschaut (wortwörtlich und im übertragenen Sinne). Ich war oft zurückhaltend, scheu im Umgang mit Menschen, vorsichtig. Mein Selbstvertrauen war, wie das der meisten Jugendlichen, erschüttert. Ich konnte nicht darauf vertrauen, dass mein authentisches Selbst bei anderen Menschen gut ankommt.

 

Wie entstand daraus ein Dünkel, ein Hochmut?

 

Ich wollte jemand besonderes sein. Ich wollte einzigartig sein und dafür anerkannt werden.

Im Hamsterrad konnte ich das nicht. Dort interessiert nicht, welche Eigenschaften, Persönlichkeit, Vorlieben, Wünsche, Einmaligkeit eine Person ausmachen. Dort interessiert nur, dass standardisierte Ausbildungen in standardisierte Beschäftigungen münden.

 

Ich wollte eine Arbeit, die mich mit Sinn und Wert erfüllt. Damals habe ich meinen Sinn und Wert noch stark von der äußeren Welt bestimmen lassen.

 

Ich gab mich mit nichts Geringerem zufrieden, als meiner Berufung.

 

 

Mein hohes Ross namens Berufung

Ein so hohes Ideal, moralisch und besonders und…

so hoch, dass ich mich für eine laaaaaange Zeit darauf ausruhen konnte, eben noch nicht meine Berufung gefunden zu haben.

So konnte ich über ein Jahrzehnt vermeiden, in die Arbeitswelt einzusteigen. Ich studierte. Ich bildete mich privat. Ich erfuhr mich ganz in Ruhe. Ich nahm mir die wertvolle Zeit, mich kennen zu lernen, mich mögen zu lernen, mir meiner selbst in vielen Aspekten bewusst zu werden.

 

Doch bald war es Zeit für mich, beruflich aktiv zu sein.

Ich wollte tätig sein, wirken, mich zur Verfügung stellen.

 

Und dabei stand mir mein Dünkel im Weg.

Er flüsterte mir ins Ohr, ich könne mich mit einem normalen Angestelltenverhältnis und auch mit einer normalen Selbstständigkeit nicht zufrieden geben, denn das sei nicht besonders genug. Eine Berufung könne nicht auf die normale Art gefunden werden, die alle anderen an den Tag legen. Da müsse ich schon alles anders machen, als die anderen.

 

Weißt du, Dünkel ist eine Methode, um Angst zu verdecken.

Hinter dem Dünkel lag meine Angst davor, in diesem „normalen“ Kontext der Arbeitswelt nicht gut genug zu sein, unterzugehen, eben nicht für mein authentisches Sein anerkannt und angenommen zu werden.

 

 

Ich bin, also bin ich berufen

Als ich das erkannte, ließ ich viele Vorurteile los. Ich konnte Menschen für ihre „normale“ Arbeit endlich vollkommen anerkennen. Vorher habe ich sie insgeheim beneidet, dass sie in dieser rauen Arbeitswelt doch recht selbstbewusst wirken.

Ich konnte den Wert jeder Arbeit schätzen und auch für mich selbst in Frage kommen lassen.

 

Um meiner Berufung nachzugehen, brauche ich nichts Neues erfinden.

Berufung hat nichts mit einem Beruf oder Job zu tun.

Ich erfülle sie in jedem Lebensbereich, einfach, weil ich ich selbst bin.

 

Als ich zwischen Bachelor und Master in einer Bäckerei arbeitete, erfüllte ich meine Berufung. Ich konnte dort leuchten. Meine Kolleginnen erkannten ihre eigene Kraft, ihr Potenzial. Das Klima dort entwickelte sich zu mehr Freude, Miteinander, Wertschätzung.

Einfach nur, weil ich mich authentisch zeigte, ehrlich interessiert war an diesen Frauen, weil eben ich dort arbeitete und nicht ein anderer Mensch.

 

Ich kann mich jetzt meiner Angst stellen, nicht gut genug zu sein, um in der Arbeitswelt zu bestehen und dort Freude zu finden.

In meinem beruflichen Kontext will ich mich nicht verbiegen, um hinein zu passen.

Ich möchte meine Rolle so ausfüllen, wie nur ich es kann.

Ich möchte jeden Menschen für die authentische Weise schätzen, seine Rolle auszufüllen.

 

 

Gut, schlecht und nicht gut genug

Kein Mensch ist einem anderen überlegen. Kein Mensch ist besser oder schlechter.

Wir begegnen uns. Einer hat eine Erfahrung gemacht. Er ist vielleicht in der Lage, dem anderen davon zu berichten, sodass dieser Unterstützung und Führung für seine Erfahrung erhält.

 

Jeder Mensch ist jedem anderen gegenüber lehrend und lernend. Wer glaubt, von seinem Gegenüber nichts lernen zu können, verhält sich hochmütig. Er sitzt dem Irrtum auf, den Dünkel in sich trägt. Um nämlich die Angst vor Unzulänglichkeit zu verbergen, versteckt sich ein überheblicher Mensch hinter seinen jeweiligen Kompetenzen, Rollen, Zertifikaten. Er sperrt sich dagegen, von anderen etwas zu lernen, denn er glaubt, das bedeute Schwäche. Er glaubt, wenn ihn jemand noch etwas lehren kann, wäre er ja noch nicht gut genug. Genau diesen Eindruck scheut er und vermeidet ihn, wo er nur kann.

 

Manche Professoren sind Studierenden gegenüber hochmütig, manche Vorgesetzten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, manche Eltern ihren Kindern.

Unsere Welt funktioniert häufig über die Unterscheidung zwischen besser und schlechter. Wir schauen zu jemandem hinauf oder auf jemanden hinab. Wenn ich dein Chef bin, bin ich besser, als du. Wenn du nicht dieses Zertifikat hast, bist du nicht gut genug für jene Stelle.

 

 

Egal, was du tust, Hauptsache ist, du tust es auf deine Art. Nur so bist du weder besser, noch schlechter, noch gut genug. Du bist jenseits dieser Kategorien. Du machst deinen Wert und Sinn nicht mehr abhängig von deiner beruflichen Tätigkeit. Und so kann jeder Job sinn- und wertvoll sein, wenn du ihn mit Sinn und Wert füllst, anstatt darauf zu warten, dass er dich erfüllt.

 

Dieses gratis E-Book kann dich unterstützen, in deinem Alltag herauszufinden, was in dir steckt.

 

 

 

Suche nicht nach deiner Berufung in deiner beruflichen Tätigkeit. Finde, was dich als Person auszeichnet und wie du das auch in deinem Beruf leben kannst.

 

 

Du lebst deine Berufung – jederzeit, auch in deinem Job.

 

Was macht dich einzigartig? Was kannst du der Welt zur Verfügung stellen, um sie mit Sinn und Wert zu erfüllen?

 

 

 


Über die Autorin

Katharina Hengl, geboren 1983, Mentorin für Selbstreflexion als Orientierungshilfe für alle, die ihr Leben authentisch, integer und souverän führen.

Liebt die Hintergründe menschlicher Angelegenheiten. Hört gern aktiv zu. Ist ein Spiegel, der verständlich fragt, zusammenfasst, veranschaulicht.

Wärmesuchend, Mutter, Liebende, INFJ, Rosen mit Duft.


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