Ist eine Leistung anerkennenswert, wenn sie keine Mühe gekostet hat?

Das Kind meiner Freundin schläft mit seinen sechs Monaten zwölf Stunden durch.

Meine Tochter hat in ihrem fast dreijährigen Leben noch niemals zwölf Stunden lang geschlafen. Ich konnte etwa zweieinhalb Jahre lang die Nächte an einer Hand abzählen, in denen ich einmal sieben Stunden durchschlafen durfte. Wer verdient mehr Anerkennung?

 

 

Wenn Leistung Mühe kostet

Diese Freundin ist selbstständig. Ich bin es auch. Sie konnte drei Monate nach der Entbindung wieder erfolgreich in ihre Karriere einsteigen. Ich lebe fast drei Jahre nach der Geburt meiner Tochter immer noch an der Armutsgrenze und versuche seit eineinhalb Jahren mein Unternehmen zu starten.

 

Was macht mein Kopf aus diesen Tatsachen?

Na, sie hat ihr Kind ja auch nur kurze Zeit gestillt.

Sie hat ihre Arbeit vorangestellt.

Sie konnte sich gleich wieder konzentrieren, litt nicht unter Konzentrationsabwesenheit durch permanenten Schlafmangel.

Sie hatte eine einfache Tochter. Meine war anspruchsvoll, hat mir mehr abverlangt.

Und derlei Gedanken. An schlechten Tagen noch gehässiger.

 

Warum kann ich mich nicht uneingeschränkt für meine Freundin freuen? Ein großer Teil in mir kann das. Manche Stimmen jedoch schwätzen das Obige.

 

Weil ich mich für meinen empfundenen Misserfolg rechtfertige. Ich finde Erklärungen dafür, dass ich eben nicht alles hinbekomme, was meiner Konditionierung nach heute als erfolgreiche Leistung interpretiert wird. Leistung in dieser verqueren Weltsicht bedeutet eben nicht “Kümmere dich um deine Kinder. Gestalte die Beziehungen in deinem Leben bewusst und liebevoll. Widme dich deinem inneren Wachstum. Trage etwas Sinnvolles und Schönes zur Entwicklung der Welt bei. Wenn es dir leicht fällt, ist es genau das passende Betätigungsfeld für dich.”

 

Leistung ist harte Arbeit, nicht wahr? Wenn etwas einfach ist, ist es ja keine Kunst. Es hat keine Mühe gekostet, also ist es keiner Anerkennung wert.

Und wenn das Kind meiner Freundin es ihr so einfach macht, weil es schläft, vom Vater gefüttert wird, wenig weint, dann brauche ich meiner Freundin ihre schmale Leistung auch nicht anerkennen. Richtig?

 

Und schon ist ein menschliches Muster geboren: Wir machen uns das Leben schwer, um Anerkennung zu ergattern.

Was nützt schon die Muße, genügend Schlaf, das süße Nichtstun?

Das darfst du nur, wenn du vorher deine mühevolle Arbeit erledigt hast. Denn das Leben besteht nun mal zu 99% aus lästigen Pflichten.

 

Meine Güte!

Eine Leistung ist nur dann wertvoll, wenn sie Mühe gekostet hat? Echt? Wer sagt das?

 

Die inneren Kritiker

Ich kann mir selbst gerade anerkennen, dass ich meine emotionale Reaktion und negativen Gedanken bezüglich meiner Freundin leicht, also mühelos reflektieren konnte.

Ich mag meine Freundin. Außerdem ist ihr Umgang mit ihrer Tochter außerordentlich liebevoll, fürsorglich und geduldig.

Deshalb ist es mir ein wichtiges Anliegen, meine Projektionen auf sie aufzulösen. Mir hilft wieder und wieder ein Prozess, den ich im Artikel “Wie du mit zwei Orientierungshilfen lernst authentisch zu sein” als zweites Hinweisschild beschreibe.

Mein gratis E-Book taucht noch tiefer in diese Materie ein, gibt simple und wirksame Methoden an die Hand.

 

Ich kenne inzwischen viele meiner inneren Stimmen. Auch die kritischen, sich mit Anerkennung meiner selbst zurückhaltenden, die in dieser Situation die Hauptrolle spielten. Es ist nützlich sie zu kennen und zu integrieren. Erlernte Muster bringen sie dazu, Anerkennung zu verwehren. Ich kann mir nicht anerkennen, wie ich Mutter bin, denn Beziehung und Familie sind privat und außerdem eine Selbstverständlichkeit. Ich kann meiner Freundin ihre Arbeit als Selbstständige neben ihrer Mutterschaft nicht anerkennen, denn es fiel ihr ja leicht.

 

Ich möchte nicht auf diese inneren Teile verzichten. Sie warnen mich vor zu viel Faulheit. Sie motivieren mich mein Bestes zu geben, mich zu engagieren.

 

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wir Menschen zukünftig mehr und mehr entdecken, wie viel Leichtigkeit und Freude im Leben erfahrbar ist. Sobald wir dem Leben erlauben, uns zu beschenken, uns zu nähren, sobald wir bemerken, wie viel Fülle die Erde für uns bereit hält, können wir uns darauf konzentrieren, unsere inneren Reichtümer zu kultivieren, jeder individuell und bezaubernd.

 

Die neue Leistung

Ich finde es an der Zeit, dass wir uns wegen unserer Unterschiede ehren. Ich möchte die einzigartige Geschichte jedes Menschen anerkennen. Jeder ist auf seinem Weg und jeder trägt seine einzigartigen Erfahrungen zur Entwicklung aller bei.

Das ist Leistung: Wenn du deinen eigenen Weg gehst, der so ist, wie keiner vorher. Dazu bist du doch hier auf der Erde und hast deinen Namen, deine Herkunft, deine Persönlichkeit.

 

Mühelosigkeit und Freude sind dabei keine Belohnung für harte Arbeit. Sie können zur grundlegenden Leitlinie werden, die du immer wieder anstrebst und fokussierst.

Verwechsle das bitte nicht mit Faulheit und nicht mit Vermeidungsverhalten aus Angst. Beides würde dich kreisförmig immer wieder zu ähnlichen Situationen führen und wenig zur Weiterentwicklung beitragen.

 

Auf zu neuen Ufern.

Mach es dir leicht. Setze die Segel und lass den Wind dein Boot vorantreiben. Hör auf zu paddeln. Nur so hast du Zeit, die Welt um dich und in dir wahrzunehmen.

 

Welche Leistung möchtest du dir zukünftig anerkennen? Was fällt dir leicht und könnte somit genau die Leistung sein, die nur du in die Welt bringen kannst?

 


Über die Autorin

Katharina Hengl, geboren 1983, Mentorin für Selbstreflexion als Orientierungshilfe für alle, die ihr Leben authentisch, integer und souverän führen.

Liebt die Hintergründe menschlicher Angelegenheiten. Hört gern aktiv zu. Ist ein Spiegel, der verständlich fragt, zusammenfasst, veranschaulicht.

Wärmesuchend, Mutter, Liebende, INFJ, Rosen mit Duft.


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